Interview

«Luxus hat hierzulande fast etwas Unanständiges»

Fernando Fastoso lehrt seit kurzem an der Hochschule Pforzheim «Luxus». Ein Gespräch über Konsum in Zeiten von Corona, diskrete Schweizer und darüber, welches die begehrten Dinge von morgen sind.

Silke Wichert 19 Kommentare
Drucken
Fernando Fastoso: «In der Schweiz und in Deutschland muss man Luxus begründen können.»

Fernando Fastoso: «In der Schweiz und in Deutschland muss man Luxus begründen können.»

Christian Beutler / Keystone

Herr Fastoso, Sie sind seit Oktober der erste Luxus-Professor Deutschlands. Wahrscheinlich hat Ihre Hochschule noch nie so viele Medienanfragen zu einem Lehrstuhl bekommen. Warum übt die Materie einen solchen Reiz aus?

Offensichtlich polarisiert das Thema gesellschaftlich. Von Natur aus tut es das wahrscheinlich überall, aber in England, wo ich zuvor fünfzehn Jahre gelebt habe, oder in Uruguay, wo ich aufgewachsen bin, habe ich das gar nicht so wahrgenommen. Das grosse Interesse hat meiner Meinung nach damit zu tun, wie Luxus in Deutschland gesehen wird. Die Krisenzeiten, wie wir sie gerade erleben, verstärken die Aufregung um den Begriff sicher noch.

Weil es Wichtigeres gibt?

In der Tat. Viele Menschen sind durch die Pandemie in finanzielle Schwierigkeiten geraten, selbst in reichen Ländern wie der Schweiz. Manche Leute werden sich sagen: «Und jetzt kommt eine Hochschule daher und widmet einen Lehrstuhl dem Thema Luxus!»

Erklären Sie, warum man sich wissenschaftlich damit beschäftigen sollte.

Das Thema ist im Marketing ja nicht neu. In Frankreich etwa existiert diese Forschung schon lange. In Pforzheim fokussieren wir uns auf Markenmanagement für Luxus- und sogenannte Prestigemarken, die mit den gleichen Assoziationen spielen. Ein Beispiel für eine Prestigemarke ist etwa Apple mit ihrem klaren Fokus auf ästhetisches Design – eine Qualität des Luxus – oder Nespresso, deren Kapsel nur etwa 40 Cent kostet, während die ganze Aufmachung der Boutiquen aber sehr edel ist. Den einen Luxus gibt es in der akademischen Welt schon lange nicht mehr.

Es heisst, die Idee von Luxus sei so alt wie die Menschheit. Doch verändert sich das jeweilige Verständnis davon nicht mit jeder Generation?

Ja. Vor 200 Jahren konnte sich nur der Adel Luxus leisten, später dann auch das Bürgertum. Heutzutage spricht man von einer Demokratisierung. Auch daher ist der Luxusbegriff nicht mehr selbsterklärend. Man muss ihn qualifizieren, zum Beispiel, indem man erschwinglichen vom traditionellen oder vom echten oder vom Superluxus abgrenzt.

In der Corona-Pandemie rutschte die Industrie in die Krise. Aber zumindest Marken wie Dior und Louis Vuitton melden schon wieder steigende Umsätze. Wie kann das sein?

Viele Firmen haben ihr Geschäft auf Asien fokussiert, wo man die Krise schneller in den Griff bekam. Unabhängig davon besinnen sich Menschen überall auf der Welt in Zeiten der Unsicherheit auf das Wesentliche zurück. Und für manche bedeutet das eben Genuss von langlebigen Produkten wie Handtaschen, Uhren oder Schmuck – auch als Gegenentwurf zur Wegwerfgesellschaft.

Fernando Fastoso, Professor für Luxus

Fernando Fastoso,
Professor für Luxus

PD

So wie in Krisenzeiten als Anlage meistens Gold gewählt wird?

Wir reden hier von fassbarem Luxus. Vor Covid-19 erlebten wir einen Trend weg von Objekten, hin zu Erlebnissen: Restaurantbesuche, Spas, Hotels, Kreuzfahrten. Vieles davon ist in der Krise nicht mehr möglich, zudem schickt es sich jetzt weniger: Ein Teil des Reizes bestand schliesslich darin, Bilder vom Erlebten auf Instagram zu teilen.

Braucht Luxus Zeugen?

Luxus ist komplexer, als es oberflächlich aussieht. Die meisten denken spontan an «angeben mit teuren Sachen». Aber Luxus hat auch eine private Seite. Denken Sie an Küchen des deutschen Herstellers Bulthaup oder, wie ich kürzlich lernte, an eine Nachtcrème von Dior, deren 50-Milliliter-Tiegel über 400 Euro kostet. Bei der Küche ist der Geltungsnutzen schon stark eingegrenzt. Aber eine Nachtcrème, die im Badezimmer steht? Wen beeindrucken Sie damit? Luxus hat immer eine soziale und eine private Komponente. Die Käufer unterscheiden sich voneinander auch dadurch, wie viel Bedeutung sie der einen oder anderen Komponente beimessen.

Könnte es sein, dass in der Schweiz die private Komponente überwiegt? So wie ja auch das Bankgeheimnis hier lange unantastbar war?

Tatsächlich zeigen Studien, dass Schweizer, wie auch Deutsche, sehr empfindlich sind, was das Zurschaustellen von Opulenz angeht. Warum? Das ist eine spannende Frage, mit der ich mich genauer befassen werde. Fest steht, dass der Begriff «Luxus» im deutschen Sprachraum, verglichen mit anderen Sprachen, einen Ausreisser darstellt. Im Spanischen, Französischen, Italienischen oder Englischen etwa ist der Begriff nur teilweise negativ konnotiert, während er im Deutschen ausschliesslich negativ definiert wird. Im Duden ist Luxus als Verschwendung, als nicht notwendiger Aufwand definiert. Im Merriam-Webster’s Dictionary wird er auch mit Komfort, Leichtigkeit und Genuss in Verbindung gebracht. Luxus scheint hierzulande fast etwas Unanständiges zu sein.

Weil protestantisch geprägte Länder traditionell eher Fleiss und Sparsamkeit glorifizieren statt Genuss?

Die protestantische Arbeitsethik spielt dabei sicher eine Rolle. Das Interessante ist: Objektiv gesehen gibt es schon sehr viel Luxus in Deutschland und in der Schweiz – man darf ihn nur nicht so nennen. Und man muss ihn begründen können. Deutsche Strassen sind voller Mercedes oder BMW, die auf der ganzen Welt als Luxusautos gelten. In Deutschland wird ihr Kauf aber vor allem mit funktionalen Vorzügen wie Fahrgefühl oder Sicherheit begründet. Ein Essen im Sternerestaurant ist dagegen . . .

. . . schwerer zu rechtfertigen?

Ja. Das Kuriose ist, dass man überhaupt etwas rechtfertigen muss. In Frankreich steht das Geniessen ganz selbstverständlich im Vordergrund. Den Deutschen hingegen geht es beim Essen meist um «günstig» oder um «bio». Das ist aber nicht luxuriös.

Dafür lässt sich «bio» gut begründen, oder?

Das wäre meine These. An Weihnachten haben die Biogans-Züchter in Deutschland jedenfalls einen Boom erlebt.

Wie steht es mit Schweizer Uhren? Rechtfertigen hier Technik und Präzision den hohen Preis?

Mit Sicherheit. International gesehen ist die Schweiz das absolute Ursprungsland von qualitativ hochwertigen Uhren. Anders als bei Schokolade und Käse, die auch mit Belgien beziehungsweise Frankreich in Verbindung gebracht werden.

Was ist eigentlich Ihr wertvollster Besitz?

Tatsächlich eine Uhr, die mein Grossvater getragen hat. Wir haben viel zusammen Karten gespielt, als ich klein war, und wenn ich an ihn denke, sehe ich ihn im hellblauen Pullover mit der Uhr am Handgelenk mir gegenüber am Tisch sitzend. Keine Ahnung, was mit dem Pullover passiert ist, aber die Uhr gehört nun mir. Ich trage sie selten, und doch bedeutet sie mir viel als Erinnerung.

Weil sie – jedenfalls im Idealfall – so lange halten, werden Luxusprodukte neuerdings gern als nachhaltig gepriesen. Gleichzeitig entwickelt sich ein neuer, «vorbildlicher» Luxus, der sich ebenfalls gut begründen lässt. Ist Tesla die Biogans unter den Autos?

Elektroautos sind spannend, weil sie noch einen vermeintlichen Zusatznutzen bieten: Sie tragen gewissermassen zur Rettung der Welt bei, weil sie mit Strom funktionieren. Obwohl die Folgefrage natürlich ist, wie der Strom dafür erzeugt wird. Grundsätzlich wollen vor allem die jüngeren Konsumenten nicht nur schöne Produkte, sie fragen die Marken auch: «Wie steht ihr zu den wichtigen gesellschaftlichen Fragen, was tragt ihr zu deren Lösung bei?» Der Luxus der Zukunft muss eine Kombination aus Handwerkskunst und Nachhaltigkeit bieten.

Und findet er online oder offline statt? Viele Marken haben das Internet lange gemieden, weil es nicht exklusiv genug sei. Spätestens seit der Corona-Pandemie ist überall von digitalen Strategien die Rede.

Zum einen ist das eine Generationenfrage. Millennials sind jetzt 25 bis 40 Jahre alt und sehr technologieorientiert. Ihre Folgegeneration, Gen Z genannt, noch mehr. Das Misstrauen der Älteren dem Internet gegenüber ist bei den Jüngeren kaum noch spürbar. Zum anderen ist das auch eine Frage der Geografie. In Asien spielt sich das Leben und damit auch der Konsum schon jetzt viel stärker im Netz ab als bei uns. Klar, einen Rolls-Royce würden Sie wahrscheinlich immer noch nicht per Mausklick bestellen.

Designermode schon: Die Online-Boutique Mytheresa wurde beim Börsengang gerade mit drei Milliarden Dollar bewertet.

Online-Verkauf ist nicht das Allheilmittel. Die Uhrenmarke Lange & Söhne hat vor kurzem angekündigt, in den Online-Handel einzusteigen. Andere, wie Patek Philippe, haben es in der Krise kurzzeitig ausprobiert und wieder Abstand davon genommen. Das Spannende, gerade mit Blick auf Asien, ist: Es geht nicht mehr darum, ob Luxus online präsent sein soll oder nicht – sondern wie. Eine Studie von McKinsey zeigt, dass rund 20 Prozent aller Käufe im Internet getätigt werden – aber bereits 80 Prozent aller Käufe durch Online beeinflusst wurden.

Das «Prinzip Chanel», bei dem mittlerweile alle digitalen Kanäle bespielt, aber dessen Sachen nirgendwo online verkauft werden.

Wenn ein sehr edles Produkt plötzlich in einen profanen Warenkorb wandert und man die Kreditkartendetails eingeben soll, kann ein Teil des «dream value» des Luxus verloren gehen. Da stellen manche Marken fest, dass das für ihre Klientel und ihr Image keine gute Idee ist. Aber Sie brauchen das Netz heute, um Begehrlichkeit zu wecken und die Markenbindung zu unterstützen. Ferrari verkaufte letztes Jahr rund 10 000 Autos, hat aber fast 20 Millionen Follower auf Instagram. Sie alle träumen den Traum mit.

19 Kommentare
D. S.

"Im Merriam-Webster’s Dictionary wird er auch mit Komfort, Leichtigkeit und Genuss in Verbindung gebracht", sehr schön, schon deshalb lohnt sich dieses Interview! Denn exakt deshalb gönne ich mir meinen Luxus, sehe diesen als etwas sehr persönliches und betrachte ihn als relativ. Und auch exakt deshalb interessieren mich Meinungen anderer zu meinem Luxus nicht im geringsten. 

Hubert Schmitz

"Mitleid bekommt man geschenkt-Neid und Missgunst muss man hart erarbeiten!" - So heißt es oftmals. Trifft aber nicht ganz zu, denn: Es gibt auch Menschen, die im Luxus schwelgen, den ihre Vorfahren hart erarbeitet oder ergaunert haben-die Erbengeneration nämlich. Ein treffliches Ziel für Missgunst. Andererseits gibt es Leute, die sich ohne weiteres Luxusattribute leisten könnten, denen aber nichts daran liegt-ich kenne Menschen, die sich den Luxus der Bedürfnislosigkeit leisten. Beneidenswert! Da Oscar Wilde aber einmal gesagt hat: "Man umgebe mich mit Luxus, auf alles Notwendige kann ich verzichten", biete ich hiermit Herrn Prof. Fastoso an, mich im Rahmen einer Langzeitstudie mit Luxus zu umgeben. Ich habe gute Voraussetzungen: Alles Notwendige ist bereits vorhanden... ;-)