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Sergey Filimonov / Stocksy United

Luxus-Professor Fernando Fastoso "Eine Louis-Vuitton-Tasche macht niemanden einzigartig"

In Pforzheim können Studenten demnächst Luxus lernen. Unterrichtet werden sie von Fernando Fastoso. Hier spricht der Markenexperte darüber, was echten Luxus ausmacht - und was sein wertvollster Besitz ist.
Ein Interview von Philipp Löwe

SPIEGEL: Herr Fastoso, was ist Luxus?

Fastoso: Die meisten von uns denken bei dem Wort vermutlich an das, was Experten heute echten Luxus nennen: Produkte, die extrem viel Geld kosten, eine außergewöhnliche Qualität haben, die exklusiv sind und Tradition haben oder auf sonstige Weise Authentizität verkörpern. Früher konnten sich nur Aristokraten Luxus leisten. Der Luxusmarkt heute ist vollkommen anders. Er wurde gewissermaßen demokratisiert. Etwa wenn Gucci oder Tiffany Produktreihen anbieten wie Accessoires, die immer noch viel Geld kosten, aber erschwinglich sind für eine Käuferschicht, die nicht zur klassischen Luxusklientel gehört.

SPIEGEL: Das ist dann also Fake-Luxus?

Fastoso: Luxus ist immer auch gruppenabhängig. Vielleicht ist eine Cartier-Uhr für 25.000 Euro in meinen Augen Luxus und für Sie nicht. Es kommt sehr darauf an, zu welcher Gruppe jemand gehört oder gehören möchte und welche Botschaft transportiert werden soll. Früher ging es schlicht darum, mit Luxus seinen Reichtum zu zeigen. Heutzutage kann Luxus zu anderen Arten von Abgrenzung führen, etwa mit Marken, die als Ausdruck von Kultur, Geschmack und Stil wahrgenommen werden und nicht bloß als kostspielig.

SPIEGEL: Braucht Luxus also Zeugen?

Fastoso: Der US-amerikanische Ökonom Thorstein Veblen beschrieb Ende des 19. Jahrhunderts in seiner "Theorie der feinen Leute" den "Geltungskonsum". Er beobachtete, dass wohlhabende Menschen nicht einfach nur reich sein wollten, sondern auch als reich erkannt werden. Die ersehnte Anerkennung, das Prestige für ihr Vermögen bekamen sie nur, wenn sie damit prahlten. Luxusprodukte erfüllen neben der Imagepflege allerdings noch zwei weitere Funktionen. Sie dienen uns persönlich zum Selbstausdruck und als Ego-Stütze. Sie kaufen vielleicht eine Rolex-Uhr, weil der Erfolg und die Qualität, für die die Marke stehen, Ihr Selbstbild reflektieren, und vielleicht ziehen Sie daraus auch Selbstvertrauen. Unabhängig davon lesen andere Menschen aus diesem Besitz bestimmte Eigenschaften heraus.

SPIEGEL: Früher galt Luxus als etwas Verwerfliches. Wie hat sich der Begriff im Laufe der Zeit gewandelt?

Fastoso: Ursprünglich stand das Wort für Lust, Begierde. In "Viel Lärm um nichts" schrieb Shakespeare: "She knows the heat of a luxurious bed" ("Sie kennt die Gluten heimlicher Umarmung", Anm. d. Red.), eine eindeutig sexuelle Konnotation. In der katholischen Lehre meint das lateinische "luxuria" die Wollust, eine Todsünde. Auch im Duden stehen eher negative Assoziationen: kostspielig, verschwenderisch, nicht notwendig. So steht es aber nicht in englischen Wörterbüchern. Dort geht es eher um Genuss, Vergnügen, Komfort und Leichtigkeit. Das finde ich ziemlich bemerkenswert.

SPIEGEL: Braucht die Welt Luxus?

Fastoso: Die Welt braucht im Moment eine Lösung für die Covid-19-Pandemie. Menschen genießen aber gern, und viele Menschen genießen den Luxus.

"Es ist nicht verwerflich, sich selbst oder andere mit etwas Kostbarem zu belohnen"

SPIEGEL: Es gibt Menschen, die behaupten, die Welt wäre schlechter ohne Luxus. Sie sehen darin eine Triebfeder für wirtschaftlichen und kulturellen Fortschritt. Viele Kunst- oder Bauwerke gäbe es nicht ohne den Wunsch nach Luxus.

Fastoso: Sicher hat zum Beispiel der Luxus, mit dem sich die alten Ägypter umgeben haben, unsere Welt kulturell massiv beeinflusst. Ich würde das als Nebenwirkungen bezeichnen. Die Bereitschaft, Geld auszugeben für nahezu perfekte Dinge, die ihren Zweck erfüllen und auch noch schön anzusehen sind, trägt natürlich etwas bei zu unserer Welt. Es wäre jedoch übertrieben zu behaupten, die Welt braucht Luxus. Ich würde sagen: Die Menschen schätzen und genießen Luxus. Es ist auch nicht verwerflich, sich selbst oder andere mit etwas Kostbarem zu belohnen.

SPIEGEL: Wie erklären Sie Ihren Studenten, wie Luxus erzeugt wird? Gibt es eine Formel, oder ist es komplizierter?

Fastoso: Es gibt keine Formel. Das wäre großartig. Dann würden Sie und ich bald eine Firma gründen. Letzten Endes ist Markenmanagement, mein Fachgebiet, ein Teil der Sozialwissenschaft. In meinen Vorlesungen wird es darum gehen, das Bewusstsein zu schaffen dafür, was Luxus ist, wie ein luxuriöser Eindruck erzeugt werden kann und wie Luxusmarken geführt werden. Marketing generell ist eine Wissenschaft und Kunst zugleich. Wann immer Menschen involviert sind, wird es ein Stück weit unberechenbar. Es geht immer auch um Kreativität, das Denken außerhalb des Rahmens. Luxus und Kunst haben viel miteinander zu tun. Bernard Arnault, der ehemalige CEO von Louis Vuitton, hat mal gesagt, dass seine Firma über keine Produkteinführung aufgrund von Marktforschung entscheidet. Wenn Sie Marktführer sein möchten mit Produkten, die Exklusivität und Kunstfertigkeit vereinen, dann müssen Sie in gewisser Weise ein Künstler sein und die Trends setzen, statt ihnen zu folgen.

SPIEGEL: Sind es nicht doch immer dieselben Zutaten: ein hoher Preis, gute Qualität und raffinierte Werbung?

Fastoso: Es ist sehr schwer, eine Luxusmarke zu planen. Zunächst bräuchten wir ein außergewöhnliches Produkt von sehr guter Qualität. Das kostet natürlich mehr in der Herstellung. Gleichzeitig muss es exklusiv sein, also produzieren wir nur kleine Stückzahlen. Außerdem sollte es ästhetisch sein, und bekannt machen müssen wir es auch noch. Dabei stellt sich das Problem mit dem Image, es soll ja authentisch sein; das ist das Hauptproblem, würde ich sagen.

SPIEGEL: Können Sie ein Beispiel nennen?

Fastoso: Nehmen Sie Shang Xia, ein von Hermès finanziertes Label, das zur ersten chinesischen Luxusmarke aufgebaut werden soll: chinesische Traditionen verbunden mit modernem Design. Keine schlechte Idee, chinesische Käufer machen rund ein Drittel des globalen Luxusumsatzes aus. Die Designerin Jiang Qionger ist aus China, das Land hat eine jahrtausendealte Handwerkskultur, Hermès hat ebenfalls eine lange Historie - und doch macht das Unternehmen nach zehn Jahren keinen Gewinn. Einfach Geld in die Hand zu nehmen und eine Luxusmarke kurzfristig zu erschaffen, so einfach ist es nicht.

"Etwas Luxuriöses kann nie einfach nur teuer sein."

SPIEGEL: Ist Luxus denn überhaupt eine Frage des Geldes?

Fastoso: Geld ist eindimensional. Etwas Luxuriöses kann nie einfach nur teuer sein. Dann müssten Marken einfach nur etwas Teures produzieren. Luxus ist vielschichtiger. Es geht um Exklusivität, Seltenheit. Luxusprodukte sind die, von denen Menschen träumen. Es geht um eine Selbstvorstellung, einen Idealtypus.

SPIEGEL: Aber Geld ist doch ein ganz guter Weg, um Exklusivität herzustellen.

Fastoso: Wenn etwas viel kostet, ist es automatisch exklusiv. Doch es fehlt der emotionale Wert. Die meisten Luxusmarken, die uns beiden wahrscheinlich auf Anhieb einfallen würden, sind solche mit Tradition. Das steht für Langlebigkeit und Zeitlosigkeit. Natürlich gibt es auch neue Luxusmarken, da geht es dann mehr um Werte oder die bereits erwähnte Authentizität. Jungen Konsumenten der Generation Z geht es eher um Glaubwürdigkeit und Einzigartigkeit. Eine Louis-Vuitton-Tasche, die überall zu sehen ist, macht niemanden einzigartig.

SPIEGEL: Was ist das Wertvollste, das Sie besitzen?

Fastoso: Eine Uhr meines Großvaters, ich habe sie von meinem Vater bekommen. Sie liegt auf meinem Nachttisch. Wann immer ich sie ansehe, muss ich an meinen Opa denken und wie er sie getragen hat; er war eine sehr wichtige Person in meinem Leben. Die Uhr ist mein wertvollster Besitz. Ich trage sie selten. Sie ist von einer Luxusmarke - aber das spielt keine Rolle für mich.